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Omnikrise: Warum die alte Krisenlogik nicht mehr funktioniert

Es gab eine Zeit, in der Krisen ausschließlich als Einzelereignisse auftraten: Ein Unfall, ein Rückruf, ein IT-Incident. Man zog das Krisenhandbuch hervor, aktivierte Rollen, stimmte Botschaften ab, arbeitete die Lage ab. Danach: Learnings und zurück in den Normalbetrieb. Es gibt diese Art der Krisen immer noch – aber sie finden in einem grundsätzlich veränderten Kontext statt, der Omnikrise.

Was die Omnikrise ist

Die Omnikrise ist kein einzelnes Ereignis. Sie ist ein Zustand, der sich permanent durch unseren Alltag zieht. Mehrere Krisen laufen gleichzeitig, überlagern sich und verstärken sich gegenseitig (siehe Definition Mathias Horx). Energiepreise, Krieg, Lieferketten, Desinformation, interne Konflikte, Fachkräftemangel – alles wirkt ineinander und sorgt dafür, dass mehrere Krisen gleichzeitig auftreten oder die eine in die andere übergeht. Die Folge? Ein Dauerzustand, der nicht nur Organisationen stresst, Kommunikation neu herausfordert, sondern vor allem die Menschen darin belastet – Führungskräfte, Teams, Mitarbeitende.

Komplexität als neue Grundbedingung

Die Omnikrise ist nicht einfach „viel“. Sie ist komplex. – Komplex bedeutet:

  • mehrere Einflussfaktoren gleichzeitig,

  • wenig Vorhersagbarkeit,

  • keine linearen Ursache-Wirkungs-Ketten,

  • und eine Öffentlichkeit, die diese Dynamik in Echtzeit kommentiert und multipliziert.

Die Wahrnehmungskrise

Die mediale Lage in der Omnikrise ist geprägt von einer kollektiven Überhitzung und Fragmentierung der Wahrnehmung: Die permanente digitale Medienflut verstärkt eine Hysterisierung der Gesellschaft und führt dazu, dass selbst alltägliche oder harmlose Phänomene als bedrohlich wahrgenommen werden. Dabei verlieren klassische Sinnbezüge zunehmend an Wirkung, da die Hypermedialisierung und der rasante technologische Wandel öffentliche Diskurse polarisieren und Wissenserwerb sowie persönliche Identität vor allem durch Abgrenzung statt Verständigung geprägt sind. Medien werden so zum Verstärker einer allgemeinen Unsicherheit und Ohnmacht, indem sie nicht mehr nur informieren, sondern auf emotionale Aufmerksamkeit und kontroverse Zuspitzung setzen, was die Orientierung in einer komplexen Krisenlandschaft zusätzlich erschwert.

Der Mensch im Mittelpunkt – und oft am Limit

Diese Komplexität trifft nicht nur Systeme, sondern vor allem die Menschen. Führungskräfte und Kommunikator:innen stehen heute in einem Spannungsfeld, das man kaum unterschätzen kann:

  • Sie sollen Entscheidungen treffen, obwohl Fakten fehlen.

  • Sie sollen Ruhe ausstrahlen, während sie selbst keine Orientierung spüren.

  • Sie sollen klare Botschaften formulieren, obwohl sich die Lage stündlich verändert.

  • Und sie sollen Vertrauen schaffen, während sie sich innerlich manchmal fragen, wie lange sie das eigentlich noch durchhalten.

Klassische Krisenmechaniken als Fundament

Krisen-Handbücher, Checklisten und Prozesse sind wichtig – sie bleiben das Fundament jeder professionellen Krisenkommunikation. Um in der Omnikrise umfassend zu unterstützen, braucht es erweiterte Ansätze:

  • Wie kommuniziert man, wenn Unsicherheit keine Phase, sondern Normalzustand ist?

  • Wie hält man Deutungshoheit, wenn Millionen individuelle Gatekeeper mitreden?

  • Wie erklärt man Komplexität verständlich?

  • Wie bleibt man präsent, obwohl man selbst zweifelt?

  • Und: Wie schützt man die Menschen, die kommunizieren müssen, vor Überlastung?

Was Kommunikation jetzt können muss

Die mediale Landschaft in der Omnikrise bildet eine neue Kommunikationsrealität ab, in der alte Gewissheiten und klassische Handlungsanleitungen zunehmend ins Leere laufen. Charakteristisch ist ein ständiger Krisenmodus, der Individuen und Organisationen zwingt, neue Prinzipien der Kommunikation zu entwickeln – Prinzipien, die den Anforderungen von Unsicherheit, Überforderung und Komplexität Rechnung tragen.

Im Mittelpunkt steht dabei das Prinzip der Präsenz statt Perfektion: Menschen verlangen nicht mehr nach makellosen Botschaften, sondern danach, im Moment gesehen und ernstgenommen zu werden – das bedeutet, dass kommunikative „Erreichbarkeit“ und persönliche Ansprache wichtiger werden als formale Fehlerlosigkeit. Zweitens verlangt die gegenwärtige Lage nach Klarheit trotz Komplexität: Anstatt den Versuch zu unternehmen, die Vielschichtigkeit der Situation kleinzureden, wird die Aufgabe darin gesehen, Orientierung zu bieten – durch verständliche Einordnung, durch das Benennen relevanter Zusammenhänge und den Mut, auch Ungeklärtes zu benennen.

Drittes Kernprinzip ist Wahrhaftigkeit: Wer Kommunikation in der Omnikrise steuert, darf Unsicherheit nicht als Schwäche tarnen, sondern sollte transparent machen, was bekannt ist – und ebenso offen über das sprechen, was noch unklar bleibt. Die Ehrlichkeit über Grenzen des Wissens und der Informationslage ist heute ein entscheidender Vertrauensfaktor.

Viertens prägt das Denken in Szenarien die Kommunikation: Die Unsicherheiten der Omnikrise machen es nötig, Möglichkeiten und Eventualitäten zu kommunizieren – nicht nur das „Was ist“, sondern auch das „Was könnte kommen?“. Dadurch werden Zielgruppen vorbereitet und ein Diskurs über Handlungsoptionen ermöglicht, anstatt passiv auf Entwicklungen zu warten.

Schließlich rückt der Faktor Mensch ins Zentrum: Die Belastungen durch die Omnikrise beeinträchtigen die Kommunikationsfähigkeit jedes Einzelnen. Wer kommuniziert, muss auf sich selbst achten, um weiterhin konstruktiv, nachvollziehbar und empathisch sprechen zu können – denn in einem permanenten Ausnahmezustand reicht es nicht, nur Wissen bereitzustellen; entscheidend ist, wie resilient und menschlich dieser Prozess gestaltet wird.

In Summe entsteht eine kommunikative Praxis, die präsenter, klarer, wahrhaftiger, vorausschauender und menschlicher ist – weil nur so in der Omnikrise Vertrauen geschaffen und Orientierung gegeben werden kann.

Fazit

Die Omnikrise fordert uns heraus, Stabilität in der Fähigkeit zur Anpassung, zur Zusammenarbeit und zur empathischen Kommunikation zu suchen. Als wesentliche Grundlage fungieren die die klassischen Maßnahmen der Krisenprävention wie die Erstellung von Handbüchern, Checklisten und Trainings. Wo diese klassische Logik endet, muss die Chance genutzt werden, Resilienz, Dialog und Innovation zur Grundlage einer zukunftsfähigen Krisenkultur zu machen.

Bereiten Sie Ihr Unternehmen professionell auf die Omnikrise vor – Kontaktieren Sie uns für ein individuelles Angebot.

Autor:in

Tina Hunstein-Glasl

Tina Hunstein-Glasl ist Inhaberin von Tina Glasl Strategie & Kommunikation. Sie zählt zu den führenden Expertinnen für Krisenkommunikation und strategische Veränderungsbegleitung im deutschsprachigen Raum. Seit über 20 Jahren begleitet sie Unternehmen, Organisationen und Institutionen bei der erfolgreichen Navigation durch komplexe Aufgaben, Krisen und Transformationen. Als Mitgründerin der ORVIETO ACADEMY for Communicative Leadership stärkt sie zudem kommunikative Kompetenz und innere Stabilität von Führungskräften im Kontext des 21. Jahrhunderts. Sie studierte Kommunikationswissenschaft, Politik und Soziologie an der LMU München und ist ausgebildeter Coach mit Weiterbildungen in Organisationsentwicklung.

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