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Krisen führen – oder geführt werden? Warum Krisenkommunikation immer bei uns selbst beginnt

Krisen sind die Nagelprobe für jede Führungskraft und jeden Kommunikationsprofi. Wenn die äußeren Turbulenzen zunehmen, wirken Handbücher, Prozesse und Strukturen ordnend und leitend. Doch wie sieht es mit dem Innen der Führungskraft aus? Erstaunlich viele Führungskräfte merken nicht, wie sehr ihr eigenes Stresssystem die Art prägt, wie sie sprechen, führen und entscheiden. Wer in der Krisenkommunikation überzeugt sein will, muss deshalb nicht nur Prozesse beherrschen, sondern verstehen, was im Inneren passiert, wenn der Druck steigt.Wer die psychodynamischen Mechanismen versteht, kann die Wirksamkeit seiner Krisenkommunikation entscheidend erhöhen.

Was passiert unter Druck? Psychodynamik in der Krise

Stress und Unsicherheit führen zu Routinen, die kurzfristig Stabilität geben – aber langfristig mehr verschärfen als lösen. Das Gehirn schaltet im Krisenmodus um: Weg vom kreativen Denken, hin zum Überlebenstempo – Kampf, Flucht oder Erstarrung prägen das Verhalten. In der Führung zeigt sich das oft als Tunnelblick, Verlust von Empathie, und starren Entscheidungen. Unter Druck verengt sich unser Blick. Empathie sinkt, die Wahrnehmung verzerrt sich, wir interpretieren Signale falsch. Das macht Krisenkommunikation unberechenbar – und manchmal richtig gefährlich, wenn sie in Schweigen, Abblocken oder gar Verleugnung mündet.

Neurobiologie der Krise – Was macht das mit Kommunikation?

Die neuropsychologischen Reaktionsmuster sind ein fester biologischer Mechanismus. Je höher der Druck, desto mehr steuern archaische Stressprogramme das Handeln. Empathie, Perspektivwechsel und Problemlösekompetenz sind blockiert – genau die Kompetenzen, die in der Kommunikation dringend gebraucht werden. Cortisol blockiert Kreativität, Dopaminmangel hemmt Innovation. Wer in der Krisenkommunikation erfolgreich sein will, braucht Selbstregulation und Wissen um die eigenen Denk- und Handlungsmuster – und ebenso effiziente Strategien im Umgang mit ihnen. ​

Das Absurde ist: Viele Führungskräfte glauben, sie müssten in der Krise besonders stark auftreten. „Schnell entscheiden“, „durchziehen“, „keine Schwäche zeigen“. Das Problem: Diese Haltung verkürzt den mentalen Raum zwischen Reiz und Reaktion so sehr, dass echte Klarheit verloren geht.

Unter Stress kippt Aktivität sehr schnell in Blindheit. Schwarz-Weiß-Denken wirkt zwar erstmal befreiend – aber im Hintergrund gehen ganze Lern- und Reflexionssysteme offline.
Und das wirkt sich direkt auf die Kommunikation aus:

  • Weniger Zuhören

  • Weniger Nuancen

  • Weniger Zugang zu den eigenen Emotionen

  • Weniger Fähigkeit, Eskalationen zu verhindern

  • Kurz: Wer neurobiologisch im Tunnel ist, kommuniziert auch wie im Tunnel.

Eine Schlüsselstrategie: zwischen Innehalten und Klarheit

Wer Krisen von innen heraus verstehen will, muss sich mit einem simplen, aber entscheidenden Mechanismus beschäftigen: dem Moment zwischen Reiz und Reaktion. Genau dort fällt im Ernstfall die wichtigste Entscheidung – ob eine Führungskraft handlungsfähig bleibt oder im Tunnel verschwindet.

In hochdynamischen Lagen prasseln Informationen, Erwartungen und widersprüchliche Signale gleichzeitig ein. Der Körper reagiert reflexartig: Stresshormone steigen, der Fokus verengt sich, das Denken kippt in Automatismen. Viele Führungskräfte erleben das als Tatendrang, obwohl sie innerlich längst im Abwehrmodus stecken. Genau das macht Krisensituationen so anfällig für kommunikative Fehlentscheidungen.

Der Psychiater Viktor Frankl formulierte dafür einen Satz, der heute fast wie eine Handlungsanweisung für Krisenkommunikation wirkt: Zwischen Reiz und Reaktion liegt ein Raum. Dieser Raum ist kein philosophisches Bild, sondern eine neurobiologische Realität. Wer innehalten kann, unterbricht den automatischen Stresskreislauf und gewinnt den Zugriff auf kognitive Fähigkeiten zurück, die unter Druck als Erste wegbrechen: Perspektivwechsel, Zuhören, Priorisieren, sprachliche Klarheit. In der Praxis heißt das: Eine kurze Pause ist ein Akt souveräner Führung. In der Krisenkommunikation zeigt sich der Wert dieses Zwischenraums besonders deutlich. Ein paar Sekunden des Innehaltens:

  • senken den akuten Stresspegel

  • reaktivieren das Frontalhirn als Steuerzentrale rationaler Entscheidungen

  • schaffen Abstand zur eigenen Emotionalität

  • verhindern vorschnelle Aussagen, die Situationen verschärfen

Dieser kurze Moment wirkt wie ein Gegenmittel zu typischen Eskalationsdynamiken. Er schützt vor verbalen Kurzschlüssen, unnötiger Härte oder hektischem Aktionismus und ermöglicht eine Kommunikation, die Orientierung gibt, statt zusätzliche Probleme zu verursachen.

Fünf Hebel für wirksame Führungskommunikation in der Krise

Wirksame Kommunikation in der Krise entsteht durch zielführende Strategien, Skills und Tools – und durch bewusste innere Führung. Hier sind wesentliche Hebel:

  • Abstand schaffen: Innehalten unterbricht die automatische Reiz-Reaktions-Kette. Dieser kurze Abstand sorgt dafür, dass Botschaften klar bleiben und Reaktionen nicht von Stress, sondern von Bewusstsein gesteuert werden.

  • Orientierung durch Teilschritte: Unsichere Situationen brauchen verlässliche Etappen. Präzise Teilziele schaffen Struktur, vermitteln Machbarkeit und geben Orientierung.

  • Ressourcenarbeit: Eigene Kraftquellen erkennen und schützen.

  • Kontakt pflegen: Gespräche, Dialoge sind das zentrale Steuerungsinstrument in Krisen. Aktiver Austausch verhindert Isolation, öffnet Gestaltungsmöglichkeiten und verhindert Eskalationen.

  • Steuerung übernehmen: Krisen entziehen Kontrolle, doch wie Führungskräfte darauf reagieren, bleibt ihre Entscheidung. Wer sich als Gestalter versteht, kommuniziert proaktiv, klar und zugewandt.

Fazit

Erfolgreiche Krisenkommunikation ist heute eine Verbindung aus Skills, Tools, Methodenkompetenz und dem bewussten Umgang mit psychodynamischen Mustern. Wer beides beherrscht – Handwerk und Selbstführung –, führt souverän durch jede Krise. Die Zukunft der Kommunikation liegt nicht in der Perfektion der Lösung, sondern in der Fähigkeit, sich selbst und andere im Spannungsfeld der Krise mitzunehmen.

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Autor:in

Tina Hunstein-Glasl

Tina Hunstein-Glasl ist Inhaberin von Tina Glasl Strategie & Kommunikation. Sie zählt zu den führenden Expertinnen für Krisenkommunikation und strategische Veränderungsbegleitung im deutschsprachigen Raum. Seit über 20 Jahren begleitet sie Unternehmen, Organisationen und Institutionen bei der erfolgreichen Navigation durch komplexe Aufgaben, Krisen und Transformationen. Als Mitgründerin der ORVIETO ACADEMY for Communicative Leadership stärkt sie zudem kommunikative Kompetenz und innere Stabilität von Führungskräften im Kontext des 21. Jahrhunderts. Sie studierte Kommunikationswissenschaft, Politik und Soziologie an der LMU München und ist ausgebildeter Coach mit Weiterbildungen in Organisationsentwicklung.

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