Krisenresilienz: EUI-ESM Conference on Crisis Communication
Ende November 2025 veranstalteten das Europäische Hochschulinstitut (EUI) und der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) gemeinsam eine Konferenz zum Thema Krisenkommunikation an der School of Transnational Governance des EUI. Zu dieser Konferenz war ich als Speakerin eingeladen.
Kommunikation als strategisches Element der Stabilität
Die Stadt Florenz ist seit langem ein Ort, an dem Komplexität Kreativität hervorbringt – ein passender Veranstaltungsort für eine Konferenz, die sich mit Krisen, Vertrauen und Kommunikation befasst. Die Veranstaltung brachte Führungskräfte, Wissenschaftler und Praktiker aus ganz Europa zusammen, um eine der entscheidenden Fragen unserer Zeit zu diskutieren: Wie können wir in einer Zeit, die von Unsicherheit, Komplexität und schwindendem Vertrauen geprägt ist, effektiv und glaubwürdig kommunizieren?
Als Beraterin für Krisenkommunikation und organisatorisches Veränderungsmanagement steht dieses Thema im Mittelpunkt meiner täglichen Arbeit. Meine Teilnahme an diesem Forum, bei dem sich Expertinnen und Praktiker aus öffentlichen Institutionen und privaten Organisationen auf Augenhöhe trafen, war sowohl eine wertvolle inhaltliche Bereicherung als auch eine Erinnerung an die Kraft des Austauschs unter Gleichgesinnten. Als der Konferenztag zu Ende ging, hatten wir alle das Gefühl, dass die Diskussionen gerade erst begonnen hatten.
Wir leben in einer Zeit, in der Autorität, Daten und Fachwissen allein kein Garant mehr für Vertrauen sind. Menschen beurteilen Institutionen und Führungskräfte nicht nur danach, was sie sagen, sondern auch danach, wie sie es sagen – nach ihrer Haltung, ihrem Tempo und ihrer Reaktionsfähigkeit. Die Herausforderung für Kommunikatoren besteht daher nicht darin, perfekte Botschaften zu vermitteln, sondern die Glaubwürdigkeit der Beziehungen über einen längeren Zeitraum aufrechtzuerhalten.
Die Konferenz im Überblick
Die Konferenz wurde mit Begrüßungsreden von Pierre Gramegna, Geschäftsführer des ESM, und George Papaconstantinou, Lehrstuhlinhaber für Internationale Politische Ökonomie an der School of Transnational Governance des EUI, eröffnet. Beide betonten, dass Kommunikation in Zeiten sich überschneidender Krisen nicht nebensächlich, sondern von strategischer Bedeutung ist. Sie prägt das Handeln und die öffentliche Wahrnehmung von Institutionen, die Interpretation von Entscheidungen und die Aufrechterhaltung von Vertrauen über Grenzen hinweg.
Die ersten Keynotes von Professor Winni Johansen von der Universität Aarhus und Professor Paul Argenti von der Tuck School of Business in Dartmouth betonten genau das: Vertrauen ist die Währung der modernen Kommunikation. Ohne Vertrauen findet selbst die ausgefeilteste Krisenreaktion keinen Anklang. In ihren Vorträgen untersuchten sie, wie Vertrauen nicht nur durch sachliche Genauigkeit, sondern auch durch Konsistenz, Transparenz und Empathie aufgebaut wird – also durch die Fähigkeit von Organisationen, glaubwürdig zu bleiben und gleichzeitig Unsicherheiten anzuerkennen.
Folgende Themen stachen für mich hervor:
Die Notwendigkeit, dem fundamentalen Vertrauensverlust von Ämtern, Medien und Funktionen engagiert entgegen zu wirken.
Die Überzeugung, dass Kommunikation mehr ist als Information, vor allem in Krisen: Wir müssen in Resonanz gehen, zuhören, Feedback geben.
Die Bedeutung von Zeit: Wenn alles immer schneller geht, folgert daraus nicht „wir sind noch schneller“, sondern „wir nehmen uns diesen wesentlichen Moment zwischen Reiz und Reaktion“.
Die Omnikrise und die Entwicklung der Krisenkommunikation
Wenn sich Krisen häufen und miteinander interagieren, werden sie mehr als die Summe ihrer Teile. Klimawandel, geopolitische Instabilität, wirtschaftliche Volatilität, digitale Desinformation und institutionelle Ermüdung treten nicht getrennt voneinander auf. Sie verschmelzen zu dem, was viele heute als „Omnikrise” bezeichnen, einem Zustand vielfältiger, miteinander verknüpfter Störungen, die sich gegenseitig kontinuierlich beeinflussen.
Dieses Konzept prägte einen Großteil der Diskussion in Florenz. In einer solchen Realität reichen traditionelle lineare Ansätze zum Krisenmanagement nicht aus. Vorab festgelegte Reaktionspläne können helfen, aber sie können adaptives Urteilsvermögen und kommunikative Agilität nicht ersetzen. Hier wird der Begriff der strategischen Improvisation entscheidend. Er spiegelt die Fähigkeit von Institutionen wider, kohärent und transparent zu handeln, selbst wenn neue Variablen schneller auftreten, als Verfahren angepasst werden können.
Während der Diskussionen betonten viele Teilnehmer, dass es bei der Kommunikation im Zeitalter der Omnikrise weniger um Kontrolle als vielmehr um Kohärenz geht. Wenn Unsicherheit vorherrscht, suchen die Menschen nach Orientierung. Die Aufgabe der Kommunikatoren besteht darin, diese Orientierung zu schaffen – durch klare Narrative, glaubwürdige Führungsstimmen und eine konsistente Darstellung des Kontexts, auch wenn die Antworten unvollständig bleiben.
Kommunikation als Vektor der Krisenresilienz
Krisen stellen nicht nur Systeme auf die Probe, sondern auch Beziehungen. Die Gespräche in Florenz haben allen Teilnehmern vor Augen geführt, dass es bei Kommunikation nicht nur um Information geht, sondern auch um Verbindung. Ob in der Regierung, im Finanzwesen oder in der Industrie – Kommunikation dient als soziales Gefüge, das die Zusammenarbeit unter Druck zusammenhält.
Als Beraterin für strategische Krisenkommunikation sehe ich dies täglich in Organisationen, die sich in einem Transformationsprozess befinden und mit Unsicherheiten konfrontiert sind. Die Kommunikationsherausforderungen eines Finanzstabilitätsmechanismus, einer Regierung oder eines multinationalen Unternehmens mögen sich in ihrem Umfang unterscheiden, aber sie basieren alle auf dem gleichen Prinzip: Resilienz entsteht, wenn Kommunikation Haltung mit Resonanz verbindet.
Die Zukunft der Krisenkommunikation wird davon abhängen, wie gut wir dieses Prinzip verinnerlichen. Das bedeutet, Silos zwischen interner und externer Kommunikation aufzubrechen, strategische Weitsicht mit ehrlichem Dialog zu verbinden und zu akzeptieren, dass Glaubwürdigkeit in komplexen Zeiten nicht einmalig erreicht wird, sondern immer wieder neu erworben werden muss.
Blick in die Zukunft: Vom Management zur Bedeutung
Die Konferenz in Florenz endete mit einer einfachen, aber tiefgründigen Beobachtung: Krisenkommunikation hat sich vom Informationsmanagement zur Sinnstiftung entwickelt. Im Zeitalter der Omnikrise können Botschaften nicht rein transaktional sein. Sie müssen Gesellschaften und Organisationen helfen, Störungen zu verstehen, sich zu orientieren und das Vertrauen in kollektives Handeln zu bewahren.
In diesem Sinne sind Kommunikatoren nicht nur Übermittler von Fakten, sondern auch Architekten von Bedeutung. Ihre Arbeit prägt die Wahrnehmung von Institutionen – und letztlich auch deren Leistung. Die Teilnahme an dieser Konferenz hat mir als Spezialistin für strategische Krisenkommunikation erneut bestätigt, wie wichtig es ist, Räume zu schaffen, in denen Experten, Wissenschaftler und Praktiker gemeinsam diese Dynamiken erforschen können.
Krisen werden nicht verschwinden. Aber die Art und Weise, wie wir über sie kommunizieren, kann – und muss – sich weiterentwickeln. Wenn Florenz uns eine Lektion gelehrt hat, dann die, dass Dialog, Offenheit und Vertrauen unsere zuverlässigsten Instrumente sind, um die Unsicherheiten zu bewältigen, die unsere Zeit prägen.
Tina Hunstein-Glasl
Tina Hunstein-Glasl ist Inhaberin von Tina Glasl Strategie & Kommunikation. Sie zählt zu den führenden Expertinnen für Krisenkommunikation und strategische Veränderungsbegleitung im deutschsprachigen Raum. Seit über 20 Jahren begleitet sie Unternehmen, Organisationen und Institutionen bei der erfolgreichen Navigation durch komplexe Aufgaben, Krisen und Transformationen. Als Mitgründerin der ORVIETO ACADEMY for Communicative Leadership stärkt sie zudem kommunikative Kompetenz und innere Stabilität von Führungskräften im Kontext des 21. Jahrhunderts. Sie studierte Kommunikationswissenschaft, Politik und Soziologie an der LMU München und ist ausgebildeter Coach mit Weiterbildungen in Organisationsentwicklung.
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